Die Nouvelle Cuisine - eine Ernährungsform?
Marie-Antoinette soll der Geschichte nach die Klagen Ihrer Untertanen, sie hätten kein Brot zu essen, mit dem Satz erwidert haben: "dann sollen sie doch Kuchen essen..." Die gleiche Ignoranz gegenüber den finanziellen Möglichkeiten unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen, möchte man vielleicht denen unterstellen, die die Nouvelle Cuisine in aller Ernsthaftigkeit als eine für alle finanzierbare Ernährungsform betrachten. Doch ein Blick hinter die Kulissen straft die vorschnelle Verurteilung Lügen.

Was verbirgt sich hinter der Nouvelle Cuisine?

Die Nouvelle Cuisine verbinden viele mit der Vorstellung, in einem edel ausgestatteten Restaurant ein unbezahlbares Essen vorgesetzt zu bekommen, von dem man nicht mal satt wird, auch wenn man eine doppelte Portion erhielte. Die mag in vielen Fällen auch so stimmen, aber ein Blick auf die Grundideen der Nouvelle Cuisine, die 1976 von Gault und Millau festgehalten worden sind, lässt einen die Dinge ein wenig anders betrachten. Die beiden haben den Ausdruck zwar nicht erfunden, aber sie beschrieben das Prinzip der neuen Küche damals erstmalig in ihren Gastronomieführern und ihrer Zeitschrift in 10 Punkten. Und die hören sich gar nicht so überzogen an:

1. Die Vertreter der Nouvelle Cuisine lehnen unnötige Komplikationen beim Kochen ab.
Diese Richtlinie sollte die Küche zurück zu den Wurzeln führen. Die Gerichte sollten damit nicht "einfacher" werden, aber unnötige, den Preis erhöhende Zubereitungsschritte sollten durch eine auf die Qualität des Endproduktes ausgerichtete Arbeitsweise ersetzt werden.

2. Die Garzeiten für Fische, Fleisch, Gemüse und andere Speisen werdenverkürzt.
Eine Richtlinie, die den weitgehenden Erhalt der Vitamine und Mineralstoffe gewährleistet, von den beiden aber auch deshalb aufgestellt wurde, um dem Eigengeschmack der Lebensmittel wieder mehr Geltung zu verschaffen.

3. In der Nouvelle Cuisine wird besonderer Wert auf marktfrische Lebensmittel gelegt.
Statt im Winter noch Erdbeeren servieren zu können, deren fehlendes Aroma durch besonders viel Sahne kaschiert werden muss, sollten überwiegend Lebensmittel, die frisch auf dem Markt zu erhalten waren, verwendet werden. Auch diese Richtlinie geht konform mit den Forderungen der modernen Ernährungswissenschaft. Schließlich weiß man heute, dass Obst und Gemüse welches reif geerntet wird, um dann direkt verkauft zu werden, im Gegensatz zu Lebensmitteln, die erst auf einem mitunter sehr langem Transportweg reifen, mehr gesundheitsfördernde sekundäre Pflanzenstoffe enthalten. Auch garantiert der Verzehr der auf dem Markt erhältlichen Lebensmittel eine ausgewogene Lebensmittelauswahl über das Jahr.

4. Vorgefertigte Gerichte werden abgelehnt.
Gigantische Speisekarten mit vorgefertigten, z.T. über lange Zeit warm gehaltenen Speisen wurden ersetzt durch eine kleine Auswahl an frisch zubereiteten Gerichten. Abgesehen von dem so vermiedenen Vitamin- und Mineralstoffverlust, hat eine reduzierte Speisekarte manchmal auch den Effekt, einmal ein neues Gericht zu probieren und so vielleicht auf einen neuen Geschmack zu kommen.

5. Strenge Marinaden für Fleisch und Wild sollen reduziert werden.
Wie bei Gemüse, sollte auch bei Fleisch und Wild der Eigengeschmack wieder mehr betont werden.

6. Schwere, fette Soßen sollen aus der Küche verbannt werden.
Mehlschwitzen und fette Soßen wurden zugunsten der vermehrten Verwendung von Kräutern, Zitronensaft, Essig und (einem Stich) Butter ausgetauscht. Auch dies, ein Vorschlag, der in kaum einer Ernährungsberatung fehlt.

7. Es werden vermehrt Rezepte der regionalen Küche aufgegriffen.
Gerade die regionale Küche verwendet natürlich marktfrische Lebensmittel (s. Nr. 3) und kennt meist sehr raffinierte Rezepte für die Lebensmittel der Region.

8. Die Nouvelle Cuisine soll sich die modernen Entwicklungen der Küchentechnik zu nutze machen.
Da gerade die Fortschritte der Küchentechnik (man denke nur an den Dampfdrucktopf) oftmals die Inhaltsstoffe und den Eigengeschmack der Lebensmittel erhalten, wird dies von der Ernährungswissenschaft auch schon lange empfohlen.

9. Bei der Zubereitung der Mahlzeiten soll besonderer Wert auf die ernährungsphysiologischen Gegebenheiten gelegt werden.
Die Vertreter der Nouvelle Cuisine sollten sich nicht nur auf den reinen Gaumenkitzel konzentrieren, sondern auch immer ein Auge auf moderne Erkenntnisse der Ernährungsforschung haben und diese bei der Zubereitung ihrer Gerichte mit einbeziehen. Dies ist zwar eine sehr pauschale Aussage, aber die Beschäftigung mit ernährungsphysiologischen Gegebenheiten, beeinflusst nicht setlten das eigene Ernährungsverhalten positiv.

10. Die Nouvelle Cuisine ist eine Küche mit besonderem Erfindungsreichtum.
Für mich einer der wichtigsten Punkte, der die Nouvelle Cuisine tatsächlich zu einer ernst zu nehmenden Ernährungsform macht. Durch Kreativität und Erfindungsreichtum hebt sie sich von manch einer "Ernährungsform" ab, in der dogmatisch festlegt wird, welche Lebensmittel verboten bzw. erlaubt sind, welche Speisen wann verzehrt werden sollen oder in welcher Reihenfolge bestimmte Lebensmittel zu essen sind. Und nur durch dadurch geht auch die wichtigsten Eigenschaften des Essens nicht verloren: Der Genuss und der Spaß.

Übrigens: In modernen Geschichtsbüchern wird die Aussage von Marie Antoinett als ein Gerücht angesehen...


 
[ Homepage | Meinungsumfrage | Kleiner Dank | ]